Ableismus und Behinderung – oder warum Normalitätsbilder mächtiger sind, als wir denken
Shownotes
Über vier Milliarden Schweizer Franken fliessen jedes Jahr in Parallelstrukturen für Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel in Behindertenheime. «Wir sollten uns fragen, wer von solchen Strukturen wirklich profitiert», findet Brian McGowan, Lehrbeauftragter für Disability Studies – und selbst Rollstuhlfahrer.
Gemeinsam mit Sylvie Johner-Kobi, Dozentin an der ZHAW Soziale Arbeit, spricht er darüber, warum ableistische Vorstellungen in der Schweiz so tief verankert sind und weshalb sie oft als letzte gesellschaftlich normalisierte Diskriminierung bestehen bleiben.
Im Gespräch mit Host Regula Freuler zeigen die beiden, wie stark Normalitätsbilder Barrieren erzeugen – und weshalb die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für viele Organisationen eine echte Herausforderung darstellt. Aus ihrer Evaluation des Aktionsplans Behindertenrechten Kanton Zürich berichten sie, wo Fortschritte sichtbar sind und wo Lücken bestehen, besonders beim Einbezug von Menschen mit Behinderungen als Expert:innen in eigener Sache.
Gleichzeitig werfen sie einen Blick auf ihren neuen CAS Dis-/Ability: UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen, der Fachpersonen dabei unterstützt, vom guten Willen zu konkretem Handeln zu kommen.
In dieser Episode erwähnt:
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00:00:01: Regula Freuler: Herzlich willkommen bei unserem Podcast «Sozial».
00:00:04: Regula Freuler: Schön, dass ihr alle wieder dabei seid.
00:00:06: Regula Freuler: In dieser Folge geht es um etwas, über das wir noch nie gesprochen haben in diesem Podcast, nämlich um Behinderung und Ableism, die vielleicht letzte gesellschaftlich normalisierte Diskriminierung.
00:00:21: Jingle: Sozial, ein Podcast der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.
00:00:25: Jingle: Zum Nachdenken und Handeln in Sozialer Arbeit.
00:00:32: REGULA FREULER: Meine beiden Gäste heute sind Sylvie Johner-Kobi und Brian McGowan.
00:00:36: REGULA FREULER: Hallo zusammen.
00:00:37: SYLVIE JOHNER-KOBI: Hallo, danke für die Einladung.
00:00:39: BRIAN MCGOWAN: Hallo, freut mich hier zu sein.
00:00:40: REGULA FREULER: Sylvie ist Dozentin und Projektleiterin an der ZHAW Soziale Arbeit.
00:00:45: REGULA FREULER: Brian ist Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen, unter anderem für Disability Studies an der ETH Zürich und auch natürlich bei uns an der ZHW.
00:00:55: REGULA FREULER: Er ist Co-Präsident und Projektleiter von Sensability.ch.
00:01:00: REGULA FREULER: Das ist ein Unternehmen zur Beratung und Begleitung von Unternehmen, Verwaltungen und Bildungsinstitutionen bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und von Strategien im Kontext von Inklusion und Diversity.
00:01:15: REGULA FREULER: Dann noch zu mir.
00:01:16: REGULA FREULER: Mein Name ist Regula Freuler.
00:01:18: REGULA FREULER: Ich bin verantwortlich für die Wissenschaftskommunikation am Departement Soziale Arbeit.
00:01:24: REGULA FREULER: Ja, also warum treffen wir uns heute, Sylvie, Brian und ich?
00:01:28: REGULA FREULER: Der Anlass ist, es gibt zwei Anlässe zu diesem Gespräch.
00:01:33: REGULA FREULER: Das eine ist nämlich eine Evaluation, die sie gemacht haben, ein Forschungsprojekt.
00:01:39: REGULA FREULER: Und das andere ist, dass Sie ein neues Weiterbildungsangebot konzipiert haben.
00:01:43: REGULA FREULER: Was war eure Motivation, dieses Weiterbildungsangebot zu konzipieren?
00:01:49: SYLVIE JOHNER-KOBI: Wir haben bei unseren Tätigkeiten in Organisationen und der kantonalen Verwaltung gemerkt, dass die Personen, die dort tätig sind,
00:01:58: SYLVIE JOHNER-KOBI: sehr gerne die UNO-Behindertenrechtskonvention umsetzen möchten, aber sich etwas hilflos fühlen bei der Frage, wie sie das nun ganz konkret tun können.
00:02:09: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und da haben wir gemerkt, braucht es weitere Hilfestellungen, Tools, Hinweise auf Best Practices, damit sich diese Personen in den jeweiligen Ämtern bei den betroffenen Organisationen sicherer fühlen können und auch Handlungssicherheit gewinnen
00:02:28: SYLVIE JOHNER-KOBI: bei der Umsetzung der UN-BRK.
00:02:31: REGULA FREULER: Das Weiterbildungsangebot hat einen speziellen Namen, wie ich fand, als ich das das erste Mal gelesen habe, nämlich «Dis-Ability-UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen».
00:02:47: REGULA FREULER: Was ist denn damit gemeint?
00:02:48: REGULA FREULER: Wieso habt ihr diesen Titel gewählt?
00:02:50: BRIAN MCGOWAN: Normalerweise haben wir Bilder von Behinderungen in unseren Köpfen, Bilder, die veraltet sind, ein medizinisches Modell von Behinderung.
00:02:58: BRIAN MCGOWAN: In diesem Zusammenhang spricht man oft, wenn wir das Defizit einer Person im Vordergrund sehen und wir wollen einen neuen Zugang setzen.
00:03:08: BRIAN MCGOWAN: Wir wollen basierend auf den Disability Studies Behinderung eben als Dis-/Ability verstehen, mit einem Schrägstrich.
00:03:16: REGULA FREULER: Also was heisst denn jetzt der Schrägstrich genau?
00:03:19: BRIAN MCGOWAN: Der Schrägstrich bedeutet eigentlich, dass wir Behinderung und Nichtbehinderung immer nur zusammendenken können.
00:03:27: BRIAN MCGOWAN: Also man kann sich Behinderung gar nicht vorstellen ohne Nichtbehinderung, also ohne die nichtbehinderte Mehrheitsgesellschaft.
00:03:35: BRIAN MCGOWAN: Es ist eine Entscheidung, nicht mehr auf das Defizit, das ich zuvor erwähnt habe, also auf das medizinische Modell, sich zu konzentrieren, wie können wir die Person untersuchen, die ein Defizit hat, wo müsste man da ansetzen, sondern es ist eine Entscheidung, zu fokussieren auf die Gesellschaft, welche Normalitätsvorstellungen entwickelt
00:03:56: BRIAN MCGOWAN: und Behinderung dann als quasi Negativschablone, als Abweichung von der Normalitätsvorstellung begreift.
00:04:04: REGULA FREULER: Also ich habe es ja vorhin schon erwähnt, Brian und Sylvie natürlich auch, sind beides ExpertInnen in der UN-Behindertenrechtskonvention.
00:04:13: REGULA FREULER: Die wurde vor über zehn Jahren, also 2014, die wurde damals ratifiziert und seitdem ist die Schweiz auf allen staatlichen Ebenen verpflichtet, die Rechte von Menschen mit Behinderung zu fördern,
00:04:26: REGULA FREULER: Diskriminierung zu bekämpfen und eine inklusive Gesellschaft zu gewährleisten.
00:04:32: REGULA FREULER: Wie ist den Kantonen der Schweiz insgesamt das bisher gelungen?
00:04:38: REGULA FREULER: Wie würdet ihr das einschätzen?
00:04:40: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ja, wir können das vielleicht bezogen auf den Kanton Zürich etwas besser beurteilen, weil wir dort den Aktionsplan evaluiert haben.
00:04:49: SYLVIE JOHNER-KOBI: Dort haben wir verschiedene Befragungen gemacht.
00:04:52: SYLVIE JOHNER-KOBI: In einer dieser Befragungen hat uns eine betroffene Person gesagt,
00:04:56: SYLVIE JOHNER-KOBI: «It's bad, but it could be worse».
00:05:00: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ich glaube, das trifft es sehr gut, wie die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention umsetzt.
00:05:07: SYLVIE JOHNER-KOBI: Sie gibt sich Mühe und hat aber auch Mühe, könnte man so sagen.
00:05:13: SYLVIE JOHNER-KOBI: Es wurde schon einiges erreicht.
00:05:16: SYLVIE JOHNER-KOBI: Zum Beispiel im Kanton Zürich gibt es eine Koordinationsstelle Behindertenrechte, es gibt einen Aktionsplan.
00:05:23: SYLVIE JOHNER-KOBI: Es gibt viele engagierte Einzelpersonen, aber es geht alles relativ langsam, was natürlich auch an der Logik von Verwaltungen liegt, die ein bisschen langsam funktionieren.
00:05:37: REGULA FREULER: Du hast jetzt auch en passant den Aktionsplan erwähnt.
00:05:40: REGULA FREULER: Erklär doch bitte ganz kurz, was ist dieser Aktionsplan?
00:05:44: SYLVIE JOHNER-KOBI: Der Kanton hat einen Plan formuliert, um die UN-Behindertenrechtskonvention im Kanton umsetzen zu können.
00:05:53: SYLVIE JOHNER-KOBI: Er hat festgelegt, mit welchen Massnahmen er das tun möchte und in welchen Themenbereichen.
00:06:00: SYLVIE JOHNER-KOBI: Er hat acht Themenbereiche festgelegt, beispielsweise den Bereich Wohnen oder Bauen und andere Bereiche und hat insgesamt 26 Massnahmen formuliert für drei Jahre
00:06:13: SYLVIE JOHNER-KOBI: und versucht mit diesen Massnahmen der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention näher zu kommen.
00:06:21: BRIAN MCGOWAN: Um von meiner Seite vielleicht noch kurz zu ergänzen, wir haben lediglich den Kanton Zürich evaluiert und haben da angeschaut, wie sieht es aus bezüglich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
00:06:34: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, wenn wir auf die ganze Schweiz schauen, dann müssen nicht wir, also Sylvie und ich,
00:06:39: BRIAN MCGOWAN: hier ein Urteil fällen, sondern da würde ich vielleicht ganz kurz gerne auf das Urteil des UN-Ausschusses zu sprechen kommen, welche die Schweiz beurteilt hat bezüglich der Umsetzung der UN-BRK in der Schweiz.
00:06:53: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, da kann man das noch pointierter sagen.
00:06:56: BRIAN MCGOWAN: Sylvie hat gesagt, man gibt sich Mühe, aber man hat Mühe.
00:06:59: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, auf die ganze Schweiz gesehen, gemäss Rückmeldung des UN-Ausschusses hat die Schweiz grosse Mühe.
00:07:08: BRIAN MCGOWAN: Also die Schweiz wurde sehr
00:07:09: BRIAN MCGOWAN: heftig kritisiert vom UN-Ausschuss bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte.
00:07:14: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, das ist wichtig, das kurz festzuhalten, weil wir in der Schweiz uns selbst gerne so als Musterschülerin bezüglich Menschenrechten sehen.
00:07:24: BRIAN MCGOWAN: Und gerade bezüglich der Menschenrechte von Menschen mit Behinderung, da stehen wir doch ziemlich anders da.
00:07:29: BRIAN MCGOWAN: Also der UN-Ausschuss hat dezidiert heftige Kritik formuliert an der Schweiz, hat gesagt, es gibt auch zehn Jahre, knapp zehn Jahre,
00:07:37: BRIAN MCGOWAN: nachdem die Schweiz die BRK ratifiziert hat, immer noch keine Strategie, wie man die BRK umsetzen will in der Schweiz.
00:07:46: BRIAN MCGOWAN: Als Folge davon haben wir zahlreiche Menschenrechtsverletzungen tagtäglich in der Schweiz.
00:07:51: BRIAN MCGOWAN: Und er hat ebenfalls gesagt, dass der Grund oder einer der Hauptgründe dafür ist, dass wir nach wie vor an einem sehr veralteten Bild von Behinderung festhalten, nämlich an dem vorher erwähnten medizinischen Modell von Behinderung.
00:08:07: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, das ist wichtig zu sagen, wo wir in der Schweiz diesbezüglich stehen.
00:08:11: BRIAN MCGOWAN: Der Kanton Zürich hat hier sicherlich eine Vorreiterrolle eingenommen, indem er diesen Aktionsplan ins Leben gerufen hat.
00:08:20: REGULA FREULER: Und was denkst du, Brian, wieso ist bei uns in der Schweiz dieses veraltete Bild noch so vorherrschend?
00:08:27: BRIAN MCGOWAN: Wir haben Strukturen in der Schweiz, wir haben Strukturen geschaffen, wie man mit Menschen mit Behinderungen umgeht.
00:08:33: BRIAN MCGOWAN: Wir haben viele Sonderstrukturen geschaffen und davon profitieren
00:08:37: BRIAN MCGOWAN: auch viele Personengruppen, Wirtschaftszweige etc.
00:08:42: BRIAN MCGOWAN: Und diese Systeme lassen sich leichter aufrechterhalten, wenn wir das Problem bei der Person verorten.
00:08:49: BRIAN MCGOWAN: Also wenn wir nach wie vor sagen, die Behinderung ist das Resultat einer Unfähigkeit, einer Person etwas zu tun, anstelle des Fokuses auf Umweltstrukturen, auf Barrieren, auf Hindernisse, die man gesellschaftlich angehen könnte.
00:09:05: REGULA FREULER: Ich stelle mal jetzt nach der persönlichen Frage, weil wir haben jetzt immer so von Allgemeinen und von Strukturen gesprochen.
00:09:13: REGULA FREULER: Aber wie sieht es denn bei euch jetzt aus?
00:09:15: REGULA FREULER: Also wenn ihr jetzt zum Beispiel an euren Berufsalltag denkt oder sonst an den Alltag, wann merkt ihr oder wann fällt euch auf, dass Inklusion eben noch keine Selbstverständlichkeit ist in der Schweiz?
00:09:25: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, wichtig ist hier, sich kurz zu überlegen, was wir überhaupt unter Inklusion verstehen.
00:09:31: BRIAN MCGOWAN: Inklusion, basierend auf einem menschenrechtlichen Verständnis
00:09:35: BRIAN MCGOWAN: von Behinderung, meint die Ausgestaltung einer Gesellschaft, welche sich nach den Bedürfnissen von allen herausgebildet hat.
00:09:44: BRIAN MCGOWAN: Das heisst, alle Menschen müssen mitreden können.
00:09:47: BRIAN MCGOWAN: Und das ist heute nicht der Fall.
00:09:49: BRIAN MCGOWAN: Und das Resultat sehen wir eben auch in den Strukturen.
00:09:53: BRIAN MCGOWAN: Jetzt komme ich gerne zum persönlichen Anteil.
00:09:55: BRIAN MCGOWAN: Wo erlebe ich das?
00:09:56: BRIAN MCGOWAN: Also ich selber bin ein Rollstuhlfahrer.
00:09:59: BRIAN MCGOWAN: Ich erlebe das beispielsweise, wenn ich in meinen Berufsalltag von A nach B gehen möchte.
00:10:05: BRIAN MCGOWAN: Und der ÖV ist immer noch nicht, obwohl 20 Jahre bereits eine Verpflichtung dazu bestünde in der Schweiz, immer noch nicht an vielen Orten nicht hindernisfrei.
00:10:15: BRIAN MCGOWAN: Ich muss Umwege machen, ich muss ein Spezialtaxi nehmen, wo klar wird, dass die Regelstruktur, die alle benutzen, eben nicht meine Bedürfnisse überall hat einfliessen lassen.
00:10:29: BRIAN MCGOWAN: Und das Resultat ist, dass ich dann auf Sonderangebote angewiesen bin.
00:10:34: SYLVIE JOHNER-KOBI: Als Forscherin stosse ich immer wieder auf diese Probleme der digitalen Barrierefreiheit.
00:10:40: SYLVIE JOHNER-KOBI: Wenn ich einen Forschungsbericht so gestalten möchte, dass er lesbar ist, mit den entsprechenden Tools, mit Screenreadern usw., dann stosse ich an Grenzen, auch an unserer Hochschule.
00:10:53: SYLVIE JOHNER-KOBI: Auch wenn ich einen PowerPoint für den Unterricht gestalten möchte, da liegt es häufig an den Vorlagen, die eben nicht barrierefrei sind.
00:11:01: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und da merkt man schon, dass Inklusion eben noch keine Selbstverständlichkeit ist.
00:11:08: REGULA FREULER: Ein Thema von eurem Weiterbildungsangebot ist ja, dass sich die Teilnehmenden mit der eigenen Haltung auseinandersetzen.
00:11:16: REGULA FREULER: Warum ist jetzt diese Haltung, die man hat zum Thema, so entscheidend bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention?
00:11:25: SYLVIE JOHNER-KOBI: Unsere eigene Haltung zum Thema Behinderung
00:11:29: SYLVIE JOHNER-KOBI: beeinflusst natürlich ganz konkret auch unser Handeln.
00:11:33: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und meist reflektieren wir aber diese Haltungen nicht.
00:11:37: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ja, also wenn man sich schon mal bewusst ist, von welchem Bild man von Behinderung ausgeht und das allenfalls auch korrigieren kann oder erweitern kann, dann wird auch unser Handeln anders.
00:11:47: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube gerade, dass die Haltung ein sehr entscheidender Hebel ist, um das eigene Handeln zu verändern, so wie es Silvie ausgeführt hat, aber nicht der alleinige Hebel.
00:11:59: BRIAN MCGOWAN: Und so haben wir auch unseren CAS aufgebaut.
00:12:02: BRIAN MCGOWAN: Unser CAS möchte Haltung und Handwerk vermitteln.
00:12:07: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, beides gehört zusammen und beides ist zentral, um die Inklusion voranzubringen, respektive die UN-BRK umzusetzen.
00:12:15: BRIAN MCGOWAN: Je nachdem, wie wir alle handeln, werde ich als Person mit Behinderung beispielsweise ausgeschlossen oder ich kann an Angeboten teilhaben.
00:12:25: BRIAN MCGOWAN: Ob wir die Ursache einer Behinderung also in die Person verlegen,
00:12:29: BRIAN MCGOWAN: wieder Stichwort medizinisches Modell, oder Umweltfaktoren als Grundsinn für die Behinderung.
00:12:36: BRIAN MCGOWAN: Je nachdem handeln wir ganz unterschiedlich.
00:12:40: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig, das zu erkennen.
00:12:43: BRIAN MCGOWAN: Und neben der Haltung braucht es dann eben auch das entsprechende Handwerk.
00:12:46: BRIAN MCGOWAN: Also zu wissen, wie man die BRK umsetzt, mit welchen Tools, mit welchen Konzepten, mit welchen Leitlinien etc.
00:12:55: BRIAN MCGOWAN: Und beides brauchen wir.
00:12:57: BRIAN MCGOWAN: Wir brauchen Haltung
00:12:58: BRIAN MCGOWAN: und Handwerk, um etwas verändern zu können.
00:13:01: REGULA FREULER: Ihr habt beide jetzt das Wort Handwerk verwendet.
00:13:04: REGULA FREULER: Man lernt eben nicht nur über die Haltung zu reflektieren, sondern man lernt auch Handwerk.
00:13:08: REGULA FREULER: Wie kann man das umsetzen?
00:13:10: REGULA FREULER: Habt ihr da so ein paar ganz konkrete Beispiele?
00:13:14: BRIAN MCGOWAN: Also ich glaube, ganz wichtig bezüglich Handwerk ist, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen.
00:13:21: BRIAN MCGOWAN: Wir sind nicht das einzige Land auf der Welt, auch wenn wir das manchmal denken, welches Menschenrechte umsetzt.
00:13:27: BRIAN MCGOWAN: Das heisst, es gibt unzählige Projekte weltweit, welche sich mit der ganz konkreten Umsetzung der UN-BRK bereits beschäftigt haben.
00:13:36: BRIAN MCGOWAN: Also, wie müssen inklusive Arbeitsfelder aussehen, damit alle Menschen mitarbeiten können, ob mit oder ohne Behinderung?
00:13:45: BRIAN MCGOWAN: Wie müssen Wohnraum- und Unterstützungsdienstleistungen aussehen, damit Menschen unabhängig, selbstbestimmt leben können, so wie es alle Menschen ohne Behinderungen auch wollen?
00:13:57: BRIAN MCGOWAN: Und häufig macht man es nicht, weil man denkt, wir müssen es ja jetzt alles selber erfinden und alles uns ausdenken.
00:14:04: BRIAN MCGOWAN: Also A gibt es, wenn du danach fragst, welche konkreten Hilfsmittel gibt es, es gibt beispielsweise sehr viele ganz konkrete Hilfestellungen, die die UN schon zur Verfügung stellt, die frei zugänglich sind für jedermann, jedefrau.
00:14:20: BRIAN MCGOWAN: Das ist sicherlich ein wichtiger Zugang.
00:14:23: BRIAN MCGOWAN: Und es gibt die zahlreichen Erfahrungen in
00:14:25: BRIAN MCGOWAN: so vielen Ländern auf unserer Welt, die sich bereits damit beschäftigt haben.
00:14:30: BRIAN MCGOWAN: Also Best Practices, die wir sammeln, die Erfahrungen, von denen wir profitieren können, diese werden wir vermitteln.
00:14:37: BRIAN MCGOWAN: Und vielleicht ein dritter Aspekt noch, wenn es um die praktischen Tools geht: Unsere Teilnehmenden werden selber an einem konkreten Projekt arbeiten.
00:14:48: BRIAN MCGOWAN: Das heisst, sie können eine Fragestellung mitbringen, wir werden daran arbeiten und sie können selbst üben,
00:14:54: BRIAN MCGOWAN: was es bedeutet, die UN-BRK für das für sie relevante Thema umzusetzen.
00:15:01: REGULA FREULER: Du hast die Best Practices aus anderen Ländern erwähnt, da würde ich natürlich sofort fragen, gibt es denn ein Land, das sich besonders hervortut bei der Umsetzung, wo du sagen kannst, ja, dort gelingt das besonders gut?
00:15:16: BRIAN MCGOWAN: Ja, auch wenn das heute vielleicht fast unglaubhaft klingt, aber die USA haben natürlich in der Vergangenheit zumindest –
00:15:23: BRIAN MCGOWAN: Aktuell wird sehr vieles demontiert, aber in der Vergangenheit –sehr viel aufgebaut, sehr viel realisiert und waren auch stets sehr darum bemüht, das auch zu sharen mit anderen Ländern.
00:15:36: BRIAN MCGOWAN: Also in den USA haben wir aufgrund der Gleichstellungstradition natürlich sehr, sehr viel Material.
00:15:40: BRIAN MCGOWAN: Es gibt aber auch zahlreiche andere Länder, also die skandinavischen Länder, Neuseeland, Kanada sind Vorreiter, England sind Vorreiter beispielsweise in der Bildungslandschaft, wo das sowohl über
00:15:53: BRIAN MCGOWAN: Einzelinitiativen, aber auch über Druck von oben, also über Gesetze, realisiert wurde.
00:15:58: BRIAN MCGOWAN: Da können wir noch sehr viel lernen.
00:16:01: BRIAN MCGOWAN: Wo die Schweiz beispielsweise gut dasteht, ist verhältnismässig im Vergleich mit vielen Ländern der ÖV, obwohl ich den gerade zuvor kritisiert habe, aber die Schweiz gibt im Verhältnis zu anderen Ländern sehr viel mehr Geld aus für den ÖV.
00:16:14: BRIAN MCGOWAN: Und deshalb gibt es auch mehr Geld zur Verfügung und mehr Möglichkeiten der Realisierung von Hindernisfreiheit im öffentlichen Verkehr.
00:16:22: REGULA FREULER: In der Vorbereitung auf dieses Gespräch, das wir jetzt führen, habe ich die These aufgestellt, dass Ableism, also die Diskriminierung und die Ungleichbehandlung von Menschen mit einer Behinderung sozusagen das letzte akzeptierte Vorurteil ist.
00:16:35: REGULA FREULER: Also was ich damit meine, ist, ich denke, dass Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderung gesellschaftlich nach wie vor
00:16:45: REGULA FREULER: weitgehend, ich sage es jetzt mal, mit diesen Luft-Anführungs- und Schlussstrichen, normalisiert oder toleriert ist, während andere Formen der Diskriminierung, ich denke an Sexismus, Rassismus, Homophobie, dass die zunehmend öffentlich geächtet und thematisiert werden.
00:17:02: REGULA FREULER: Oder es gibt dann auch diese positiven Vorurteile.
00:17:08: REGULA FREULER: Menschen mit Behinderung sind ja besonders bewundernswert, weil trotzdem, trotz ihrer Behinderung schaffen sie das ja alles.
00:17:17: REGULA FREULER: Was hält die denn jetzt von dieser These?
00:17:19: BRIAN MCGOWAN: Also ich glaube, du sprichst ein sehr wichtiges Thema an, nämlich dass ableistische Vorstellungen nach wie vor bei uns weit verbreitet sind und auch zumeist nicht reflektiert werden oder auch gar nicht kritisch gesehen werden.
00:17:35: BRIAN MCGOWAN: Und bis heute wird kaum danach gefragt,
00:17:38: BRIAN MCGOWAN: warum Menschen mit Behinderungen beispielsweise so häufig immer noch in Sondersettings leben müssen oder in Sonderschulen irgendwo zum Unterricht gehen müssen.
00:17:49: BRIAN MCGOWAN: Und vor allem wird nicht danach gefragt, wer von den bestehenden Strukturen profitiert.
00:17:55: BRIAN MCGOWAN: Aus meiner Sicht bedeutet Ableismus nicht Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.
00:18:01: BRIAN MCGOWAN: Da würde ich vielleicht viel eher von der sogenannten Behindertenfeindlichkeit sprechen.
00:18:07: BRIAN MCGOWAN: Ableismus ist mehr etwas, was uns alle angeht.
00:18:13: BRIAN MCGOWAN: Wenn wir, ob wir eine Behinderung haben oder nicht, von Aufwertung oder Abwertung betroffen sind, aufgrund von bestimmten Fähigkeiten, die wir haben oder die uns zugesprochen werden.
00:18:27: BRIAN MCGOWAN: Wir alle haben uns mehr oder weniger bewusst, nämlich diesen Fähigkeitsvorstellungen zu beugen.
00:18:34: BRIAN MCGOWAN: Ich spreche da immer gerne von einem Diktat von Fähigkeitsvorstellungen, dass wir alle haben, ob wir eine Behinderung haben oder nicht.
00:18:42: BRIAN MCGOWAN: Wir unterziehen uns deshalb zum Beispiel viel häufiger Schönheitsoperationen oder gehen viel mehr ins Fitnesscenter.
00:18:50: BRIAN MCGOWAN: Fähigkeitsvorstellungen, die auf uns also einen Druck ausüben und uns letztendlich auch zu Erschöpfungen führen können.
00:18:59: BRIAN MCGOWAN: Und damit ist das Thema des Ableism,
00:19:02: BRIAN MCGOWAN: respektive ableistische Vorstellungen, ein Thema, das uns alle angeht und bei weitem nicht nur Menschen mit Behinderungen betrifft.
00:19:12: REGULA FREULER: Also würdest du sagen, wenn, also du hast jetzt argumentiert auch mit den Fähigkeitsvorstellungen, die auch verschärft werden, oft sagt man, Social Media ist daran schuld, diese Schönheitsideale, man sagt auch, immer jünger werden die Menschen, die sich diesem Leistungs- oder Fähigkeitsdiktat unterwerfen müssen.
00:19:31: REGULA FREULER: Würdest du denn jetzt sagen, dass eigentlich Ableism noch stärker ist als vielleicht vor 20 Jahren?
00:19:38: BRIAN MCGOWAN: Das ist eine schwierige Frage.
00:19:39: BRIAN MCGOWAN: Ich könnte es mir vorstellen, dass das so ist, aufgrund des Katalysators von Social Media, den du vielleicht gerade genannt hast, aber auch aufgrund von vielleicht neoliberalen Vorstellungen, die sich mehr durchgesetzt haben als früher, wo Unabhängigkeit, Fitness, Leistungsfähigkeit über alles gestellt wird.
00:19:58: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube schon, dass das einen Einfluss hat,
00:20:01: BRIAN MCGOWAN: wie wir alle uns mit Fähigkeitsvorstellungen auseinandersetzen und das uns dazu bringt, alle noch etwas schneller im Hamsterrad zu rennen, damit wir noch etwas schneller oder etwas fitter als der oder diejenige neben uns sind.
00:20:17: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, deshalb wäre es so wichtig, Ableismus, was meistens mit Behinderung verbunden wird, viel mehr als etwas zu begreifen, was uns alle angeht und was uns auch alle
00:20:30: BRIAN MCGOWAN: immer mehr belastet.
00:20:32: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und vielleicht noch als kleine Ergänzung, dass sich Ableismus eben auch in der Sprache ausdrückt, sichtbar in der Schweiz in der Benennung von Gesetzen wie der «Invalidenversicherung», der «Hilflosen-Entschädigung» usw.
00:20:48: SYLVIE JOHNER-KOBI: Also diese Begrifflichkeiten, die entwertend sind, sind sehr stark in unserem gesellschaftlichen Denken,
00:20:57: SYLVIE JOHNER-KOBI: hier abgebildet in den Gesetzen vorhanden, immer noch.
00:21:00: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und hier hat der UNO-Ausschuss auch klar eine Rückmeldung an die Schweiz gemacht, dass wir hier Aufholbedarf haben und sich etwas tun müssen, auch in den Begrifflichkeiten.
00:21:12: REGULA FREULER: Brian, du hast meine These noch verschärft.
00:21:16: REGULA FREULER: Nämlich hast du die Frage aufgeworfen: Wer profitiert denn davon, von diesem Bild, das wir haben?
00:21:21: REGULA FREULER: Wer profitiert von Ableism?
00:21:23: REGULA FREULER: Und das ist schon etwas, wo ich so
00:21:27: REGULA FREULER: wo ich so merke, okay, das war jetzt ein Aspekt, den ich mir so noch nicht wirklich überlegt habe.
00:21:34: REGULA FREULER: Wie kommen wir denn aus dem raus?
00:21:38: REGULA FREULER: Weil einerseits reden wir ja hier so von Institutionen, Organisationen, die eigentlich dazu eingerichtet worden sind, etwas zu verbessern.
00:21:46: REGULA FREULER: Also es ist schwierig, denen vorzuwerfen, er profitiert ja davon.
00:21:51: REGULA FREULER: Aber irgendwie muss sich ja was ... Ah, du wackelst mit dem Kopf.
00:21:55: REGULA FREULER: Das sieht man jetzt nicht im Podcast, aber Brian ist skeptisch.
00:21:58: REGULA FREULER: Also gut, wie siehst du das?
00:22:00: BRIAN MCGOWAN: Also ich glaube, man darf das durchaus vorwerfen, respektive man kann lernen von den Prozessen der Auseinandersetzungen um Rassismus und Sexismus.
00:22:09: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube auch beim Rassismus, der Rassismus ist ja nicht etwas, der schon immer da war und der quasi naturwüchsig einfach so existiert, sondern rassistische Argumentationsmuster wurden ja auch geschaffen,
00:22:25: BRIAN MCGOWAN: um beispielsweise die Ausbeutung von bestimmten Personengruppen zu legitimieren, um die Vertreibung von Personengruppen aus Gebieten, keine Ahnung, wo Botenschätze vorhanden sind, etc., zu rechtfertigen.
00:22:37: BRIAN MCGOWAN: Und genau so ist es ja auch mit Behinderung.
00:22:40: BRIAN MCGOWAN: Man wollte beispielsweise Menschen mit Behinderungen nicht in der Mitte der Gesellschaft haben.
00:22:45: BRIAN MCGOWAN: Man wollte sie wegsperren, man wollte spezielle Arbeits- oder Wohnstrukturen für sie schaffen.
00:22:53: BRIAN MCGOWAN: Und damit man das legitimieren kann,
00:22:55: BRIAN MCGOWAN: braucht es ja auch eine Argumentationslinie, die aufzeigt, dass Menschen, wenn sie vielleicht andere Fähigkeiten haben oder zumindest abweichende Fähigkeiten von der von der Mehrheitsgesellschaft aufgestellten Norm, dass diese ein Sondersetting brauchen und dass sie dort besser aufgehoben sind.
00:23:16: BRIAN MCGOWAN: Also wir brauchen den Glauben daran, dass Menschen mit Behinderungen profitieren von Sonderstrukturen.
00:23:21: BRIAN MCGOWAN: Wenn wir daran nicht glauben würden, würden wir nicht so unglaublich viel Geld in eine separate, zweite Welt investieren.
00:23:30: BRIAN MCGOWAN: Damit verbunden sind grosse Finanzflüsse, also rund 4 Milliarden Franken werden umgesetzt in Sekundärstrukturen und es hängen Tausende von Arbeitsplätzen damit zusammen.
00:23:44: BRIAN MCGOWAN: Um deine Frage noch zu beantworten, wer davon profitiert.
00:23:49: REGULA FREULER: Also wenn man jetzt die Frage stellen würde, was müsste denn jetzt passieren, damit das Bewusstsein in der Gesellschaft kippt?
00:23:54: REGULA FREULER: Habt ihr jetzt mal so genannt.
00:23:55: REGULA FREULER: Man muss sich fragen, wer profitiert davon, was für ein Narrativ steht dahinter eigentlich?
00:24:00: REGULA FREULER: Gibt es noch weitere Punkte, die man angehen müsste, damit sich eben dieses ganze Bewusstsein jetzt ändert?
00:24:06: BRIAN MCGOWAN: Sylvie hat zuvor den Aspekt der Sprache erwähnt.
00:24:09: BRIAN MCGOWAN: Es braucht zum Beispiel ein Nachdenken über Sprache, wie sprechen wir, als ein Mittel, welches ebenfalls Realitäten schafft.
00:24:19: BRIAN MCGOWAN: Dann braucht es, glaube ich, auch eine stete Reflexion.
00:24:22: BRIAN MCGOWAN: Also über sich selbst.
00:24:24: BRIAN MCGOWAN: Wo handle ich ableistisch?
00:24:26: BRIAN MCGOWAN: Wir alle handeln immer wieder ableistisch.
00:24:28: BRIAN MCGOWAN: Wir sind aufgewachsen in einem ableistischen System.
00:24:32: BRIAN MCGOWAN: Also über sich selber zu reflektieren, das an sich zurückzumelden, aber auch an andere zurückzumelden.
00:24:38: BRIAN MCGOWAN: Und schliesslich vielleicht als dritten Punkt, Kontakt auch mit Menschen mit Behinderungen zu haben.
00:24:45: BRIAN MCGOWAN: Also ganz viele ableistische Vorstellungen gründen auch Vermutungen,
00:24:49: BRIAN MCGOWAN: wo Wissen fehlt.
00:24:52: REGULA FREULER: Wir haben jetzt sehr viel über Haltung gesprochen und Kulturfrage.
00:24:56: REGULA FREULER: Ich würde gerne noch mal zurückkommen auf den Aktionsplan, der jetzt schon ein paar Mal erwähnt worden ist.
00:25:03: REGULA FREULER: Wir haben schon ein bisschen darüber gesprochen, was ist so allgemein das Fazit.
00:25:08: REGULA FREULER: Gibt es denn so einzelne Punkte, die ihr herausgreifen würdet, wo ihr sagen würdet,
00:25:13: REGULA FREULER: Das war jetzt so das aufschlussreichste Ergebnis aus dieser ganzen Evaluation vom Aktionsplan.
00:25:21: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ja, es erwies sich sicher im Kanton als grosse Chance, dass man die Massnahmen in der sogenannten Regelstruktur, in Anführungs- und Schlusszeichen, umgesetzt hat.
00:25:31: SYLVIE JOHNER-KOBI: Das heisst, dass jede Direktion jeweils für einzelne Massnahmen zuständig war und jede Direktion des Kantons auch etwas machen musste.
00:25:40: SYLVIE JOHNER-KOBI: Also das heisst, alle mussten sich mit dem Thema beschäftigen und dies ermöglichte dann auch eine gewisse Längerfristigkeit der Massnahmen über den Aktionsplan hinaus.
00:25:53: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und ich glaube, auch sehr wichtig war diese Koordinationsstelle Behindertenrechte, die alles koordiniert hat, die versucht hat, zwischen den Verwaltungseinheiten, den verschiedenen Ämtern und dann auch Partizipation Kanton Zürich
00:26:09: SYLVIE JOHNER-KOBI: Das ist ein Mitwirkungsgremium von Betroffenen im Kanton Zürich.
00:26:13: SYLVIE JOHNER-KOBI: Die haben da koordiniert zwischen diesen beiden beteiligten Gruppen.
00:26:21: SYLVIE JOHNER-KOBI: Was man auch noch sagen kann, Betroffene wurden bei der Umsetzung der einzelnen Massnahmen einbezogen.
00:26:27: SYLVIE JOHNER-KOBI: Aber hier kommt auch schon die Kritik.
00:26:30: SYLVIE JOHNER-KOBI: Häufig war dieser Einbezug nur punktuell und auch nicht in der von der BRK geforderten Kontinuität.
00:26:40: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und da war zum Teil auch das Verständnis von Partizipation unterschiedlich, seitens des Kantons und auch seitens der betroffenen Organisationen.
00:26:54: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, hier muss gemeinsam darüber diskutiert werden,
00:26:56: BRIAN MCGOWAN: welche Erwartungen gibt es, wie kann man diese Erwartungen erfüllen und welche Vorgehensweisen sind zu wählen.
00:27:03: BRIAN MCGOWAN: Auch hier bietet die BRK wieder einiges an Hilfe.
00:27:07: BRIAN MCGOWAN: Sie sagt, dass es einen kontinuierlichen, das hast du schon gesagt, Sylvie, einen kontinuierlichen, aber auch einen systematischen und auch einen hindernisfreien Einbezug braucht.
00:27:18: BRIAN MCGOWAN: Das war zum Beispiel zu Beginn der Umsetzungsphase des Koordinationsplans auch noch nicht immer der Fall.
00:27:24: BRIAN MCGOWAN: Man wusste es schlicht nicht.
00:27:26: BRIAN MCGOWAN: Das war häufig kein böser Wille, der hier eine Rolle gespielt hat, aber man wusste auch gar nicht so recht, wie kann man die Bedürfnisse unterschiedlicher Behinderungsgruppen im Partizipationsprozess berücksichtigen.
00:27:38: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, hier ist es ein Learning und auch ein Lernprozess, der stattgefunden hat, auf dem man aufbauen kann, auf dem der Kanton Zürich jetzt auch aufbaut und der auch, glaube ich, zu Recht ein Stück weit stolz darauf ist, auf das Learning, das man gemacht hat.
00:27:53: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, dieser Prozess, der muss überall stattfinden,
00:27:56: BRIAN MCGOWAN: wo Partizipation eine Rolle spielt.
00:27:59: REGULA FREULER: Zürich war der erste Kanton der Schweiz, der einen solchen Aktionsplan beschlossen hat.
00:28:04: REGULA FREULER: Wie sieht es bei den anderen Kantonen aus?
00:28:07: BRIAN MCGOWAN: Gut, also in den letzten paar Jahren sind in mehreren Kantonen umfassende Gesetze, ich sage zwar Gesetze und nicht Massnahmenpläne, umfassende Gesetze zur Umsetzung der UN-BRK verabschiedet worden.
00:28:20: BRIAN MCGOWAN: Das erste Gesetz, das ist meistens nicht so richtig bekannt,
00:28:24: BRIAN MCGOWAN: ist 2021 bereits im Kanton Basel-Stadt in Kraft getreten.
00:28:31: BRIAN MCGOWAN: Auch die Kantone Wallis oder die Basel-Landschaft haben schon solche Gesetze.
00:28:37: BRIAN MCGOWAN: Und deren Bedeutung ist insbesondere darin zu sehen, dass Menschen mit Behinderungen individuelle Rechte gegen Formen von Diskriminierungen einräumen können, respektive einklagen können.
00:28:51: BRIAN MCGOWAN: Der Kanton Zürich kennt
00:28:53: BRIAN MCGOWAN: kein solches Klagerecht, aber er hat dahingehend eine Vorreiterrolle eingenommen, dass er eben verschiedene Lebensbereiche in der Breite mit diesem Massnahmenplan thematisiert hat.
00:29:05: BRIAN MCGOWAN: Es gibt aber auch andere Kantone, wie gesagt, die bereits zuvor sich der UN-BRK schon zugewandt haben.
00:29:13: REGULA FREULER: Wir haben ja eingangs gesagt, es sind nicht einfach nur die Kantone, die etwas tun müssen, sondern auch viele Organisationen und viele von ihnen stehen erst am Anfang,
00:29:23: REGULA FREULER: die UNO-Behindertenrechtskonvention wirklich so in ihrer Struktur zu verankern.
00:29:29: REGULA FREULER: Welche Schritte empfiehlt ihr, um vom guten Willen jetzt zum konkreten Handeln zu kommen?
00:29:34: SYLVIE JOHNER-KOBI: Wir hatten es auch schon in unserem Gespräch, dass es wichtig ist, von bestehenden Beispielen zu lernen, von diesen Best Practices, weil es eben schon ganz viel gibt in anderen Ländern, von denen man sehr viel lernen kann.
00:29:47: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und das werden wir im CAS selbstverständlich auch thematisieren.
00:29:50: SYLVIE JOHNER-KOBI: Also man muss nicht alles von vorne
00:29:52: SYLVIE JOHNER-KOBI: neu erfinden, sondern kann sich sehr wohl an bereits Bestehendem orientieren, wenn man in die Umsetzung geht.
00:30:00: SYLVIE JOHNER-KOBI: Es gibt auch sehr hilfreiche Dokumente zur UNO-Behindertenrechtskonvention generell, zu einzelnen Themen, wie die umzusetzen sind, beispielsweise Partizipation.
00:30:10: SYLVIE JOHNER-KOBI: Also auch dort kann man sich ganz viel abgucken.
00:30:14: REGULA FREULER: Im Programm von eurem neuen CAS betont ihr den partizipativen Ansatz, den haben wir vorhin auch schon erwähnt.
00:30:21: REGULA FREULER: Das heisst eben, dass Menschen mit Behinderung nicht nur beteiligt sind, sondern dass sie wirklich mitgestaltend sind.
00:30:29: REGULA FREULER: Du bist eigentlich Expertin.
00:30:30: REGULA FREULER: Wie geht das in der Verwaltung?
00:30:32: REGULA FREULER: Wie lässt sich das jetzt da umsetzen in der Praxis?
00:30:37: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ja, wir haben in der Evaluation festgestellt, dass die Verwaltungsmitarbeitenden den Eindruck haben, das
00:30:45: SYLVIE JOHNER-KOBI: Partizipation nur bis zu einer gewissen Stufe gehen kann und eben mit Entscheidung dann wirklich in der Hand der Verwaltungsangehörigen liegt und nicht von Externen Einfluss genommen werden kann.
00:30:58: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und das sehen ja Betroffenenorganisationen sehr anders.
00:31:02: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und ich glaube, hier braucht es, wie auch Brian vorhin schon gesagt hat, eine Eichung der Partizipationsvorstellungen und auch wieder einen Blick auf die BRK, was sie fordert in Bezug auf die
00:31:14: SYLVIE JOHNER-KOBI: auf Partizipation.
00:31:16: REGULA FREULER: Was steht denn hinter diesen divergierenden Vorstellungen?
00:31:19: REGULA FREULER: Wieso gehen die so auseinander?
00:31:21: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, das liegt in der Natur der Sache, dass Interessensvertretungen selbstverständlich einen anderen Ansatz sich wünschen als Regierungen, als Verwaltungen etc., die es in der Regel gewohnt sind und es aber zum Teil auch können.
00:31:36: BRIAN MCGOWAN: Also auch aufgrund ihres Auftrages als zum Beispiel gewählte PolitikerInnen,
00:31:42: BRIAN MCGOWAN: als gewählte RegierungsvertreterInnen, da ist der Auftrag natürlich ein anderer.
00:31:47: BRIAN MCGOWAN: Aber ich glaube, wichtig ist hier die Eichung, die Sylvie zuvor erwähnt hat.
00:31:51: BRIAN MCGOWAN: Hier braucht es eine Annäherung der verschiedenen Vorstellungen.
00:31:54: BRIAN MCGOWAN: Die BRK selbst sagt nirgendwo, wie genau das funktionieren kann.
00:32:00: BRIAN MCGOWAN: Es gibt aber ein Dokument, ein jüngst erstelltes Dokument des Deutschen Instituts für Menschenrechte, welche ganz konkrete Vorschläge macht und eine Auswertung
00:32:10: BRIAN MCGOWAN: zahlreiche Partizipationsprojekte und Vorhaben durchgeführt hat.
00:32:15: BRIAN MCGOWAN: Und ich glaube, dort ist das, was Sylvie zuvor erwähnt hat.
00:32:18: BRIAN MCGOWAN: Einerseits muss die Haltung und die Expertise von Menschen mit Behinderungen eingeholt werden.
00:32:26: BRIAN MCGOWAN: Die Expertise liegt meistens fast einzig und allein bei den Betroffenen.
00:32:32: BRIAN MCGOWAN: Sie treffen auf die Hindernisse.
00:32:34: BRIAN MCGOWAN: Sie kennen die Hindernisse aus ihrem Alltag.
00:32:37: BRIAN MCGOWAN: Sie wissen auch, wie man Hindernisse überwinden könnte.
00:32:39: BRIAN MCGOWAN: Also da kann man sich die Expertise abholen.
00:32:43: BRIAN MCGOWAN: Allzu oft haben Menschen ihre Ideen umgesetzt, wie die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen vereinfacht werden könnte, ohne sie je zu fragen.
00:32:53: BRIAN MCGOWAN: Das war ein gängiges Vorgehen in der Vergangenheit.
00:32:57: BRIAN MCGOWAN: Und hier braucht es einen tiefgreifenden Wandel.
00:32:59: REGULA FREULER: Wir haben jetzt vieles erwähnt, was noch nicht gut läuft.
00:33:03: REGULA FREULER: Gehen wir mal in die positiven Seiten.
00:33:05: REGULA FREULER: Was läuft denn schon gut?
00:33:06: SYLVIE JOHNER-KOBI: Ja, ich glaube, für den Kanton Zürich können wir es nicht so schlecht beurteilen, Brian.
00:33:11: SYLVIE JOHNER-KOBI: Und dort würde ich jetzt mal sagen, die ganze Sache mit der digitalen Barrierefreiheit, die wurde sehr gut vorangetrieben vom Kanton.
00:33:20: SYLVIE JOHNER-KOBI: Da gab es zahlreiche Schulungen und Hilfsmittel und so weiter.
00:33:24: SYLVIE JOHNER-KOBI: Also da ist man sicherlich einen guten Schritt weitergekommen.
00:33:28: SYLVIE JOHNER-KOBI: Das ist einfach ein Themenbereich der UNO-BRK, natürlich nicht die gesamte.
00:33:33: SYLVIE JOHNER-KOBI: Um ein Beispiel herauszugreifen.
00:33:36: BRIAN MCGOWAN: Wo wir wirklich einen Meilenstein feststellen konnten bei der Umsetzung der UN-BRK:
00:33:42: BRIAN MCGOWAN: Der Kanton Zürich hat die Einführung einer automatischen Überprüfung neuer Gesetzeserlasse auf ihre Konformität mit der BRK hingeführt.
00:33:55: BRIAN MCGOWAN: Das bedeutet, jedes neue Gesetz muss dahingehend überprüft werden, ob es den Vorgaben der UN-BRK entspricht oder nicht.
00:34:04: BRIAN MCGOWAN: Ein riesiger Meilenstein, den man gar nicht genug hoch einschätzen kann, wenn neue Gesetze häufig Verbesserungen bringen, aber manchmal noch viel häufiger wieder neue Erschwernisse, so wird das verhindert, auch in einer langfristigen Perspektive bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte und der Umsetzung der BRK.
00:34:23: BRIAN MCGOWAN: Also das ist sicher ein sehr leuchtendes Beispiel, wie es gelingen kann.
00:34:27: REGULA FREULER: Ihr habt jetzt beide Beispiele genannt, die mit Kosten verbunden sind, also die Digitalisierung
00:34:35: REGULA FREULER: und die Gesetzesprüfung, also das sind Vorgänge, Prozesse, die sehr umfangreich sind und die umzustellen, viel Geld kostet.
00:34:44: REGULA FREULER: Oft wird das Argument ins Feld geführt, wir können etwas nicht barrierefrei machen, wir können das nicht umstellen, Systeme umstellen, weil das einfach zu viel kostet.
00:34:54: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, dem ist nicht so.
00:34:57: BRIAN MCGOWAN: Ich denke, dass die Kosten in einem geringeren Ausmass dann anfallen,
00:35:02: BRIAN MCGOWAN: wenn die Weichen gestellt werden für Strukturen, die sich in der Zukunft entwickeln werden.
00:35:07: BRIAN MCGOWAN: Also nehmen wir das Beispiel der Digitalisierung.
00:35:10: BRIAN MCGOWAN: Wenn wir hier zum Beispiel Templates haben für ganz konkrete Dokumente, die nachher hundert- und tausendfach verwendet werden.
00:35:21: BRIAN MCGOWAN: Wenn die Templates hindernisfrei sind von Beginn weg, dann müssen die hundert- und tausend Dokumente, die daraus später entstehen, nicht mehr einzeln hindernisfrei gemacht werden.
00:35:31: BRIAN MCGOWAN: Also ich glaube, wenn man frühzeitig hindernisfrei plant, lassen sich damit Kosten senken.
00:35:38: BRIAN MCGOWAN: Wir können auch das Beispiel aus der Architektur nehmen.
00:35:41: BRIAN MCGOWAN: Wenn wir ein Gebäude planen, das Gebäude ist fast fertig geplant und vielleicht sogar schon halbfertig gebaut.
00:35:48: BRIAN MCGOWAN: Und wenn man dann beginnt, das hindernisfrei zu machen, überall die Treppen mit aufwendigen Liften ergänzt etc., dann wird es teuer.
00:35:57: BRIAN MCGOWAN: Wenn man von Beginn weg so plant, dass es hindernisfrei ist,
00:36:00: BRIAN MCGOWAN: Oder nach dem Grundsatz «Design for all» und «Access for all», wenn man das dahingehend berücksichtigt und plant, lassen sich massiv Kosten sparen.
00:36:12: REGULA FREULER: Was sollen die Teilnehmenden nach Abschluss des CAS konkret mitnehmen?
00:36:15: REGULA FREULER: Also im Sinne von Fähigkeiten, Haltung, Handlungskompetenz?
00:36:20: BRIAN MCGOWAN: Ich glaube, sie sollen genau das mitnehmen, was du gerade erwähnt hast.
00:36:24: BRIAN MCGOWAN: Auch wenn es einfach klingt, es hat doch eine sehr grosse Tragweite.
00:36:28: BRIAN MCGOWAN: Also ich glaube, es geht wirklich um Haltung.
00:36:30: BRIAN MCGOWAN: Und mit Haltung meine ich ganz persönlich auch, wie denken wir über Behinderung?
00:36:36: BRIAN MCGOWAN: Was habe ich für Bilder?
00:36:37: BRIAN MCGOWAN: Was traue ich wem zu?
00:36:38: BRIAN MCGOWAN: Wem traue ich was nicht zu?
00:36:40: BRIAN MCGOWAN: Wir sagen sehr häufig, auch heute in der Schweiz, dieses oder jenes ist halt leider für Menschen mit Behinderungen aufgrund der Behinderung nicht möglich.
00:36:53: BRIAN MCGOWAN: Wenn wir ein menschenrechtliches Verständnis von Behinderung haben, so lässt sich Behinderung nicht mehr
00:37:00: BRIAN MCGOWAN: als Grund aufführen, warum Grund und Menschenrechte jemandem vorenthalten werden.
00:37:05: BRIAN MCGOWAN: Dann ist es also nicht mehr eine Frage des «Ob», sondern eine Frage des «Wie».
00:37:10: REGULA FREULER: Ich hoffe, dass alle, die zugehört haben, jetzt wissen, was sie bekommen würden, wenn sie zu euch in die Weiterbildung gehen.
00:37:15: REGULA FREULER: Aber vor allem, und ich glaube, das ist das hauptsächliche Anliegen, haben wir ein paar Denkanstösse gegeben.
00:37:23: REGULA FREULER: Und an alle, die zuhören, wir haben einige Dinge erwähnt, Papiere, Studien und so weiter.
00:37:29: REGULA FREULER: Das werdet ihr alles in den Shownotes verlinkt finden.
00:37:32: REGULA FREULER: Dann müsst ihr das nicht selber im Internet suchen.
00:37:34: REGULA FREULER: Ganz herzlichen Dank, Sylvie und Brian.
00:37:36: REGULA FREULER: Und vielleicht bis bald in eurem CAS.
00:37:39: SYLVIE JOHNER-KOBI: Vielen Dank für die Einladung.
00:37:40: BRIAN MCGOWAN: Ganz herzlichen Dank fürs Hiersein.
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